Interviewleitfaden – Thomas Hirschhorn (2017)

 

  1. Bist Du ein Kämpfer Thomas? Wofür lohnt es sich für Dich zu kämpfen?

 

Ja, ich muss kämpfen. Ich habe keine Wahl, ich bin ein/e Kämpfer/in. Für die Kunst muss man kämpfen. Es geht nicht ohne Kampf, mindestens nicht für mich. Ich kämpfe aber immer für etwas ich kämpfe nie gegen etwas. Ich kämpfe für meine Arbeit, für meine Position, für meine Kunst, für die Kunst. Deshalb auch würde ich nie sagen ‚es lohnt sich‘ zu kämpfen. Wenn ich für etwas kämpfe so nicht um etwas zu erhalten oder um zu siegen – ein ‚Sieg‘ ist ohnehin ungewiss – sondern ich kämpft weil ich kämpfen muss. Es geht nicht darum, dass man durchs kämpfen belohnt wird. Es geht nicht um Belohnung. Meine Gedanken sind also nicht: „No Pain – No Gain“. Es geht vielmehr darum, dass man sich einsetzt, dass man sich engagiert und dass man bereit ist den Preis für diesen Einsatz und dieses Engagement zu bezahlen. Wenn ich für etwas kämpfe kann die ‚Belohnung‘ nicht das Resultat, der Erfolg oder sonst ‚Etwas was ich erhalten hätte‘ sein, sondern die ‚Belohnung‘ ist, dass ich den Kampf geführt habe, dass gekämpft wurde. So sehe ich das und ich denke, jede Kämpferin/jeder Kämpfer weiss das!

 

  1. Was interessiert Dich am Spannungsverhältnis von Kunst und Politik?

 

Ich arbeite im Form- und Kraftfeld von ‚Liebe’, ‚Politik’, ‚Philosophie’ und ‚Ästhetik’ zu setzen, wenn man ‚Form- und Kraftfeld‘ durch ‚Spannungsfeld‘ ersetzen will ist das ok, nur: Ich arbeite nicht im Spannungsverhältnis von Kunst und Politik allein. Es wäre falsch meine Arbeit so zu sehe. Ich weiss, dass oft gerne Abkürzungen gemacht werden, aber ich habe mich schon immer dafür entschieden meine Arbeit in das Form- und Kraftfeld von ‚Liebe’, ‚Politik’, ‚Philosophie’ und ‚Ästhetik’ zu setzen. Mein Form- und Kraftfeld besteht also aus vier Elementen und ich will, dass meine Arbeit immer alle diese vier Felder berührt. Alle vier Felder sind mir gleich wichtig. Meine Arbeit muss aber nicht alle Felder gleichmässig ausfüllen, aber immer will ich, dass alle vier Felder berührt werden. Eines – aber nur eines – der vier Form- und Kraftfelder ist ‚Politik’. Die Wahl des Kraft- und Formfeldes ‚Politik’ bedeutet, dass ich in meiner Arbeit immer die Frage stellen will: Was willst Du? Wo stehst Du? Es bedeutet auch, dass ich mich selbst immer der Frage stellen will: Was will ich? Wo stehe ich? Das Kraft- und Formfeld ‚Politik’ – wie auch das Feld ‚Ästhetik’ – kann auch negativ gedeutet werden, dessen bin ich mir bewusst. Aber es geht nie darum das Negative auszuschalten oder wegzudrängen, es geht darum auch das Negative zu konfrontieren, es geht darum auch im Negativen zu arbeiten, sich damit zu befassen und es geht immer darum nicht selber negativ zu sein. Das ist, was mich interessiert. Ich will – durch meine Arbeit – über die Negativität, über die Aktualität, über die Kommentare, über die Meinungen und über das Abwägen hinaus eine neue Wahrheit schaffen. Das ist der Teil ‚Politik‘ meines Form- und Kraftfeldes. Das ‚Politische‘ hat viele Formen. Eine davon ist das Prekäre. ‚Politisch‘ ist, dass es sich beim Prekären nicht um ein Konzept, sondern um eine Bedingung handelt. Eine Bedingung, die gewählt oder die aufgezwungen ist, eine Bedingung die es – frenetisch und bewusst – anzunehmen gilt. Das Prekäre muss bejaht werden und dem Lager der Prekären gilt es beizutreten, weil in dieser Bejahung die Änderung, das Neue und das Revolutionäre liegt – das ist das Politische.

Das Prekäre ist eine Dynamik, ein Weg, eine Möglichkeit, eine Bedingung die geboten wird. In der Bejahung dieses Prekären, dieses Nicht-gesicherten, dieses Nicht-garantierten und dieses Nicht-etablierten kann die Zukunft liegen. Die Zukunft darum, weil das Prekäre immer kreativ ist, weil das Prekäre immer erfinderisch ist, weil das Prekäre immer in Bewegung ist, weil das Prekäre immer zu neuen Formen führt, weil das Prekäre immer eine neue Geographie bildet, weil das Prekäre immer von einem neuen Austausch zwischen den Menschen ausgeht und weil das Prekäre immer neue Werte schöpft. Und könnte es nicht so sein, dass, statt sich vor dem Prekären zu schützen, statt das Prekäre nicht wahrhaben wollen und statt sich vor dem Prekären abwenden wollen, das Gegenteil – seine Bejahung – das Universelle wäre? Könnte es nicht sein, dass im Prekären – das heute von so vielen Menschen geteilt wird – die Gerechtigkeit, das Verbindende und das Gleichheitliche liegt? Da sehe ich ein Spannungsverhältnis und ich frage mich, könnte es nicht da liegen das ‚Politische‘?

 

 Was sind Fragen, die Dich gegenwärtig stark beschäftigen?

 

Ich arbeite zur Zeit an einer grösseren Serie „Pixel-Collage“. Damit will ich mein Interesse an ‚Pixelisierung‘, an ‚Gesichtslosigkeit‘, an Gewalt, an Abstraktion und an Collage klären. Was mich an ‚Pixelisierung‘ interessiert ist, dass es um eine Entscheidung geht. Ich interessiere mich für diese Entscheidungen, weil es immer eine politische Entscheidung ist. Ich interessiere mich für ‚Pixelation‘, weil ihre Logik zu Abstraktion führt. Meine Fragen sind deshalb: „Was wird ‚Pixelisiert‘ – was nicht?“, “Wie kann Abstraktion heute verstanden werden?”, „Kann durch ‚Pixelisierung‘ und der mit ihr eingehenden ‚Pixelisierung‘ die heutige Welt, die Zeit und die Realität verpflichtet werden?  Ich interessiere mich für ‚Pixelisierung‘, weil sie für das Phänomen der Gesichtslosigkeit Steht, einer Gesichtlosigkeit der wir steigernd ausgesetzt sind. Ich interessiere mich für ‚Pixelisierung‘, weil was in einem Bild gepixelt ist, als ‚das Schlimmste‘ betrachtet wird. Das Schlimmste wird nicht gezeigt, das Schlimmste wird zensiert. ‚Pixelisierung‘ wird als moralistische Schlichtung verwendet um das, was ungeeignet ist, nicht ansehen zu müssen. Ich interessiere mich für Pixelisation, weil es die Rolle der Echtheit, des Authentischen übernommen hat. Etwas das ‚Pixelisiert‘ ist, scheint immer mehr authentisch. Teilweise gepixelte Bilder scheinen mehr authentisch als unverpixelte Bilder und werden als solche akzeptiert. Es scheint deshalb klar, dass Pixel für Authenizität stehen, dass sie für ‚Echtheit‘ eintreten.

Ein anderes Thema oder ‚Motiv‘ das mich gegenwärtig interessiert, ist das der Ruine. Mein Interesse an Ruinen kommt davon, dass sie immer etwas aussagen. Diese Aussagen sind ungemein vielschichtig und komplex, ja über-komplex. Bevor uns die Ruine zeigt warum sie eine Ruine ist, zeigt sie uns, dass sie eine Ruine ist. Die Ruine ist eine Form an sich. Mich interessiert, dass eine Ruine Formgebung ist, eine Ruine ist keine Ästhetik, keine Reproduktion und es ist keine Rekonstruktion, eine Ruine ist reine Form. Nichts ist zu gewinnen durch Spekulationen und Fragen nach: Was war vorher? Warum sieht es so aus? Die Ruine ‘ist’, die Ruine ‘ist’ an sich, sie steht für sich, die Ruine ist Ruine. Denn die Ruine ist der Anfang, sie ist die Behauptung, denn sie behauptet ihre Form als Ruine. Meine Fragen hier sind: „Könnte es sein, dass alles, dass das Universum durch Zerstörung – mit einer Ruine – im Chaos begann?“, „Könnte es sein, dass alles sich aus diesem Chaos entwickelt hat?“ und „Könnte es sein, dass – vorher – nichts als eine ‘Ruine’ da war?“ Mich interessiert die Dimension ‚Wahrheit‘ einer Ruine. Die ‘Ruine’ die – als Wahrheit – für sich steht, die Ruine, die auf nichts anderes als sich selbst verweist, es ist die Ruine, die sich als Form selbst behauptet.

 

  1. Sind Krisen, Um- und Einbrüche immer der Nährboden für künstlerische Praktiken politischer Natur?

 

Ja, für alles Kreative. Das Kreative entsteht nicht durch und nicht mit Sattheit, Wohlstand und Luxus. Antonio Gramsci hat gesagt: „Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.“ In der Krise liegt unerahntes Potential für Kreatives und aus der Krise heraus kann sich etwas entfalten, kann etwas geschöpft werden. Krisenmomente sind Momente der Entscheidung, deshalb heisst Kunst machen – sich entscheiden. Und ‚Kunst politisch machen‘, heisst sich für etwas entscheiden.

  

  1. In welcher Form befragst Du die Welt, denkst Dinge neu?

 

Indem ich eine neue Form denke und gebe. Das will ich und versuche ich versuche es mit jeder einzelner meiner Arbeiten. Das ist mein Beitrag: Form geben, eine neue Form geben. Ich frage mich: Kann ich mit und in meiner Arbeit einen ‚kritischen Körper‘ erschaffen? Einen Körper, eine Form, etwas was ein Eingriff ist, etwas was ‚Kritisch‘ ist, das heisst: Ein Körper der kritisiert, der kritisiert werden kann, ein Körper der in einem kritischen Zustand ist. Auf der Kippe, zwischen Leben und Tod. Das ist meine Ambition, das ist meine Mission, so befrage ich die Welt. Im musealen Raum, im ‚alternativen‘ Raum, im kommerziellen Raum wie im öffentlichen Raum. Ich frage mich dabei immer: Mit welchem Begriff und mit welcher Form interveniere ich – in und durch meine Arbeit? Mit welcher Form kann ich ein neues Licht auf die Dinge, auf die Welt werfen? Kann ich es durch die Dimension meiner Arbeit, durch ihre Materialität, durch ihre Prekarität, durch ihre Dichte, durch ihre Geladenheit, durch ihre Notwendigkeit, durch ihre Dringlichkeit, durch ihre Klarheit? Und ich frage mich: Können neue Begriffe, meine Begriffe – wie „Präsenz und Produktion“ oder „Non-Programmation“ mir dabei helfen eine neue Formen zu schaffen? Wenn ich sage: Ich will Form geben, heisst das eine Form, die von mir kommt. Ich will und muss mit dem mir Eigenen operieren, meiner Form. Form geben heisst – im Gegensatz zu einer Form machen – mit ihr Eins sein. Ich muss mit dieser Form alleine zu sein aushalten können. Es geht darum die Form hochzuhalten, die Form zu behaupten und sie zu verteidigen. Es geht darum, sich der Formfrage zu stellen und zu versuchen – durch die Formgebung, nicht durch blosse Theorie – eine Antwort zu geben. Als Künstler/in bin ich weder Theoretiker/in noch Praktiker/in, meine Arbeit muss darüber hinausgehen. Ich muss mich der grossen künstlerischen Herausforderung stellen: Wie kann ich eine Form geben, die eine Position bezieht? Und wie kann ich eine Form geben, die allen Tatsachen widersteht? 

  

  1. Worin liegt der Unterschied zwischen politischer Kunst und Kunst auf politische Weise zu machen?

 

Die Begriffe “Politische Kunst”, “Engagierte Kunst”, “Politischer Künstler”  oder “Engagierter Künstler” werden heute sehr oft benutzt. Diese Vereinfachungen und Abkürzungen sind schon lange überholt. Es sind billige und denkfaule Klassifizierungen. Keine Sekunde denke ich, ich sei mehr ‘engagiert’ als ein anderer Künstler. Keine Sekunde denke ich ich sei ein ‚Politischer Künstler‘. Als Künstler muss man total engagiert sein mit seiner Kunst. Es gibt keine andere Möglichkeit wenn man etwas erreichen will mit seiner Kunst ausser ein totales Engagement. Das zählt für jede Kunst. Es besteht heute eine grosse Konfusion um die Frage was “Politisch” sei. Mich interessiert nur das wirklich Politische, das Politische das impliziert: wo stehe ich? wo steht der Andere? was will ich? was will der Andere? Die Politik der Meinungen, der Kommentare und der Mehrheitsfindungen interessiert mich nicht und hat mich nie interessiert. Denn es geht mir darum, meine Kunst politisch zu machen, es geht mir nicht – es ging mir nie darum – politische Kunst zu machen. Den Satz: “Kunst politisch machen – nicht politische Kunst machen” habe ich von Jean-Luc Godard. Er hat gesagt: “Es geht darum Filme politisch zu machen, es geht nicht darum politische Filme zu machen”. Aber was heisst: Kunst politisch machen? Kunst politisch machen, heisst etwas erschaffen. Etwas erschaffen, etwas schöpfen kann ich nur wenn ich mich positiv zur Wirklichkeit verhalte, auch zum harten Kern der Wirklichkeit. Aber es geht darum, die Lust, die Freude, den Spass an der Arbeit, das Positive am Schaffen, das Schöne am Arbeiten nie durch Kritik ersticken zu lassen. Es geht nicht darum, unkritisch zu sein oder keine Kritik zu üben – es geht darum trotz schärfster Kritik, trotz kompromissloser Ablehnung und trotz unbedingten Widerstandes positiv zu sein, etwas zu erschaffen. Es geht darum eine Behauptung zu wagen, eine Setzung zu machen, eine Setzung die über die Kritisiererei hinausgeht. Ich will kritisch sein, aber ich will mich nicht vom Kritischsein neutralisieren lassen. Ich will versuchen auch, über die von mir selbst ausgeübte Kritik, hinaus zu gehen und ich will es mir nicht durch – narzisstische – Selbstkritik einfach machen – das ist das Politische.

Etwas erschaffen heisst sich riskieren, das kann ich nur, wenn ich eine Arbeit mache ohne – im gleichen Moment – zu analysieren was ich mache. Ich will positiv, bejahend sein – mitten im Negativen, in der Ablehnung. Weil ich positiv sein will, muss ich den Mut aufbringen auch das Negative zu berühren, da sehe ich das Politische dabei.

Ich will mich nie als Künstler beklagen, denn es gibt keinen Grund dazu – ich kann etwas tun, ich kann meine Arbeit machen, ich kann etwas erschaffen – das ist das Politische.

Ich will mich universellen Problematiken stellen deshalb muss ich mit dem mich Umgebenden arbeiten, mit dem was ich kenne und was mich betrifft aber nicht, um damit der Versuchung des Partikularen, dem Biographischen zum Beispiel, zu erliegen – sondern im Gegenteil – um Universalität zu berühren. Dem, immer ausschliessenden, Partikularen muss widerstanden werden. Für mich heisst das, dass ich meine Arbeit, die ich heute und hier mache, als eine universelle Arbeit verstehe – das ist das Politische.

  

  1. Von Dir stammt: „Kunst ist – weil sie Kunst ist – Widerstand. Kunst ist aber nicht Widerstand an sich. Kunst ist widerständig, weil sie allem schon Dagewesenen und Bekannten widersteht.“ Wir fragen uns: Wie kann Kunst losgelöst von bereits Dagewesenem und Bekanntem dann erscheinen?

 

Ich denke doch: Kunst ist Widerstand an sich. Ich weiss nicht ob mein ‚Zitat‘ falsch interprätiert wurde oder ob es falsch wiedergegeben wurde, denn ich insistiere: Kunst ist – als Kunst – widerständig! Kunst widersteht politischen, kulturellen, ästhetischen Gewohnheiten. Kunst widersteht der Moral und der Aktualität. Kunst ist – weil sie Kunst ist – Widerstand. Kunst ist aber nicht Widerstand gegen etwas, Kunst ist Widerstand an sich. Als Behauptung, Bewegung, Glauben, Intensität ist Kunst ‘positiv’. Sie widersteht der Tradition, der Moral und der Tatsachenwelt. Kunst widersteht jeder Argumentation, jeder Erklärung und jeder Diskussion. Ich habe keine Angst vor Widerstand, Widerspruch oder Komplexität. Widerstand ist immer verbunden mit Reibung, Konfrontation, Zerstörung, aber auch mit Kreativität. Widerstand ist Konflikt zwischen Kreativität und Zerstörung. Ich selbst bin ‘Konflikt’ und ich will, dass meine Arbeit in der Konfliktzone steht, dass sie sich im Konflikt aufrichtet und dass sie darin widerständig ist. So sehe ich und so verstehe ich, dass etwas Neues erscheint.

 

  1. Warum glaubst Du an die Autonomie der Kunst und sprichst Dich gegen die Bedeutung von Kontext in deiner Arbeit aus? Kann ein kritischer Körper überhaupt ohne Kontext entstehen?

 

Ich bin nicht gegen ‚den Kontext‘, nicht in meiner Arbeit und auch nicht allgemein, nur ist für mich ‚der Kontext‘ etwas was schon da ist, etwas was besteht, etwas was ich weiss. Ich muss und will mit ihm arbeiten, wissentlich, dass ‚der Kontext‘ nicht ‚an sich‘ besteht. Kunst – aber – ist ‚an sich‘ weil Kunst etwas Autonomes ist. Es ist die Autonomie der Kunst mit der sie – unter anderem – in den Kontext eingreift. Ich glaube an die Autonomie der Kunst. Ich glaube daran, weil es das Autonome des Kunstwerkes ist, was das Absolute, was das Präzise und was das Schöne ergibt.

  

  1. Hat l’art pour l’art deiner Meinung nach ausgedient?

 

‚Art pour l’art‘ ist ein Slogan, ein Deckmäntelchen, eine Redewendung, ein blosses Argument. ‚L’art pour l’art‘ hat nie existiert, es hat keine Existenz, es gab sowas nie. ‚L’art pour l’art‘ hat nichts mit der Autonomie der Kunst zu tun.

 

  1. Laufen wir als bedeutungsstiftende Wesen Gefahr, Kunst zu instrumentalisieren?

 

Kunst, ich meine wirkliche Kunst, kann nicht instrumentalisiert werden. Ich würde allen meine Glauben an die Kunst, meine Freude an der Kunst und meine Hoffnung der Veränderung durch die Kunst verloren geben, wenn ich davon ausgehen würde, dass Kunst instrumentalisiert werden kann, aber es ist – wie bei allem – klar, dass Versuche die Kunst zu instrumentalisieren stattfinden. Dem müssen der Künstler und die Künstlerin widerstehen. Wenn sie – in ihrer Arbeit einer Instrumentalisierung nachgeben – wird sich die Kunst zur Wehr setzen. Die Kunst darf man nicht verraten.

 

  1. Ist die Freiheit der Kunst unantastbar?

 

Ja.

 

  1. Ist es gerade hip politisch(e) Kunst zu machen?

 

Der Begriff „Hip“ gehört nicht zu meinem Vokabular. Ich verwende ihn nicht und auch andere konsumeristische Begriffe wie „Highlight“ verwende ich nicht. Mit diesen Begriffen – als Künstler/in – zu operieren lehne ich ab. Und ich hoffe wirklich nicht, dass an Universitäten, an Kunsthochschulen und Akademien mit diesen Begriffen operiert wird! Ich habe ganz andere Probleme und stelle mir ganz andere Fragen, so: Kann ich eine Arbeit machen die – auf jeden Fall – historischen Tatsachen widersteht? Wie kann ich eine  Arbeit machen die das jenseits der Geschichte – in der ich lebe, Heute – berührt? Und wie kann ich im heutigen, in meinem historischen Feld eine Arbeit machen die a-historisch ist?

  

  1. Welche künstlerischen Positionen empfindest Du persönlich als wegweisend oder paradigmatisch im Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik?

 

Ich liebe die Arbeiten von Rosemarie Trockel, von David Hammons, von Helio Oiticica, von Meter Oppenheim, von Joseph Beuys, von Andy Warhol, von Elena Guro und ich liebe alle Arbeiten aller russischen Konstruktivisten/innen. Ich liebe – ganz allgemein – Positionen denen der Autor/die Autorin eine Form gegeben hat.

  

  1. „As an artist, I don’t want to dream or escape reality.“, sagtest Du einmal. Was ist falsch an der Realitätsflucht und am Träumen?

 

Ich bin auch dafür einen Traum zu haben. Mein Traum ist durch und mit Kunst die Welt – in ihrer Realität – zu verändern. Dafür aber darf ich nicht Träumerei oder Realitätsflucht verfallen, denn ich weiss, dass durch Realitätsflucht oder Träumerei keine Dynamik entfaltet werden kann. Ich will – mitten in der Realität, im Chaos, im komplexen, im überkomplexen ‚Heute‘ – ein Kunstwerk schaffen, es behaupten und es – als Kunst – verteidigen. Das ist was ich will, aber ich kann nicht für andere bestimmen was ‚falsch‘ oder ‚richtig‘ wäre. Ich muss mich selbst fragen, warum denke ich was ich denke? Warum mache ich was ich mache? Warum benutze ich das Werkzeug das ich benutze? Warum benutze ich die Form die ich gebe?

 

  1. Wie kann Deine Kunst Werkzeug für andere werden, um die Welt kennenzulernen, um sich mit der Realität zu konfrontieren, um sich mit der Zeit, in der wir leben, auseinanderzusetzen? Welche Rollespielen ‘der Andere’ in Deiner Arbeit?

 

«L’autre est en moi, parce que je suis moi. De même, le ‘Je’ périt, dont l’Autre est absent» dieser grossartige, wichtige Satz von Edouard Glissant (aus dem Buch: „L’intention poétique“) ist für mich eine Richtlinie. Niemandem wird in der Kunst, in meiner Arbeit, eine Rolle zugeteilt, das entspricht nicht meinem Kunstverständnis. Ich denke nicht, dass man Kunst machen kann, wenn man an ‚Rollenverteilung‘ denkt oder das praktiziert. Vielmehr kann Kunst – weil es Kunst ist – Wahrheit schaffen. Das ist nicht so einfach wie es sich anhört.  Denn es geht dabei nie um “meine” Wahrheit, es geht um ‘Wahrheit’ die ich mit ‘Form’ geben kann. Ich glaube, wenn ich wirklich Form gebe, dann kann diese Form – über alle ästhetischen und  kulturellen Gewohnheiten hinaus ‘Wahrheit’ schaffen. Die Verbundenheit von Wahrheit und Form ist etwas Grundsätzliches und Allgemeingültiges und sie ermöglicht mir ‘Kunst’ als Werkzeug zu verstehen – oder als Waffe. Ich will durch das Werkzeug ‘Kunst’ mit der Realität in Kontakt treten. Ich will mit dem Werkzeug ‘Kunst’ die Welt kennenlernen und ich will das Werkzeug ‘Kunst’ benutzen um den Anderen einzuschliessen – nie will ich mit dem Werkzeug ‘Kunst’ den Anderen ausschliessen. Dieses Werkzeug kann jeder benutzen, muss jeder benutzen können. Was ich machen kann und was ich machen will, ist eine eine Form zu geben die den Anderen implizieren kann. Ich will eine Arbeit machen, die einschliesst, die niemanden ausschliesst, eine Arbeit die niemanden einschüchtert und ich will eine Form geben – angreifbar, prekär, kritisierbar, unstabilisiert. Ich will eine Form geben, die auf Liebe und Überzeugung zu Universalität, Gerechtigkeit, Gleichheit und Wahrheit beruht.

 

  1. Wenn Du an Kunst in Wechselwirkung mit Räumen denkst, was stellen sich Dir für Fragen?

 

Ich will, dass meine Arbeit als etwas Autonomes erfahren werden kann. Immer und überall, in allen Räumen, so auch im Öffentlichen Raum. Meine Arbeit muss souverän im Raum, in jeden Raum bestehen wollen und bestehen können Mir geht es nie darum, den zur Verfügung stehenden Ausstellungsraum zu verändern. Nie geht es mir darum ‘gegen’ oder ‘für’ die bestehende Architektur zu arbeiten. Ich arbeite immer mit dem bestehenden Raum. Meine Idee von Autonomie ist: Nicht gegen der Raum, nicht für den Raum – aber mit dem Raum arbeiten. Das gleiche gilt für den Kontext, die Richtlinie ist auch hier: Immer ‚mit‘ dem Kontext arbeiten, nicht ‚gegen‘ ihn nicht ‚für‘ ihn.

 

  1. Wird die Wirkungsweise deiner Kunst im öffentlichen Raum anders als im musealen Raum entfaltet?

 

Die Wirkung meiner Arbeit ist die Gleiche. Es muss die gleiche Wirkung sein! Meine Arbeit muss die gleiche Wirkung haben, sind doch die gleichen Personen im Museum und auf der Strasse – in anderen Proportionen, bestimmt – aber es sind die Gleichen. Im übrigen gehe ich nie von einer möglichen ‚Wirkung‘ meiner Arbeit aus, sondern immer nur von der Frage: Was will ich mit meiner Arbeit? Welche ist die Form meiner Arbeit, meine Form? Denn, wenn ich es schaffe – durch und mit meiner Arbeit – jemanden, eine Person zu implizieren, dann doch weil ich für den Anderen arbeiten. Für den Anderen zu arbeiten heisst, zuerst für den Anderen in mir selbst zu arbeiten und es heisst auch, für ein ‚Nicht-Exklusives Publikum‘ zu arbeiten. ‚Kunst politisch machen‘ heisst genau auch für ein ‚Nicht-Exklusives Publikum‘ arbeiten und es heisst nicht für ein Zielpublikum zu arbeiten. Der Andere bin ich, aber der Andere kann mein Nachbar sein, es kann ein Fremder sein, jemand der mir Angst macht, den ich nicht kenne und auch nicht verstehe. Der Andere ist jemand an den ich nicht gedacht habe und den ich nicht erwartet habe. Das Nicht-exklusive Publikum sind nicht einfach ‚Alle’ oder ‚die Masse’ oder ‚die Mehrheit’. Das Nicht-exklusive Publikum besteht aus den Anderen, den manchmal mehr oder manchmal weniger ‘Anderen’. Ich will – durch und in meiner Arbeit immer für ein Nicht-exklusives Publikum arbeiten. Ich will alles daransetzen den Anderen nie von meiner Arbeit auszuschliessen, ich will ihn immer und unbedingt einschliessen. Ich will den anderen durch die Form meiner Arbeit einschliessen. Der Andere ist auch der Grund weshalb ich keinen Unterschied zwischen Arbeiten im öffentlichen Raum, in der kommerziellen Galerie, auf der Kunstmesse, im Museum, in der Kunsthalle, im alternativen Kunstraum mache – das ist das Politische. Für den Anderen zu arbeiten, gibt mir die Möglichkeit mich als Künstler ausserhalb des ‘Spektrums der Abwägenden’ zu bewegen.

 

  1. Braucht Gesellschaft überhaupt Kunst?

 

Ich kenne niemanden, der behauptet es brauche keine Kunst, keine Philosophie, keine Poesie, so auch ich: Ich brauche Kunst! Kunst greift in die Gesellschaft ein weil es eine Form – eine Form an sich, eine neue Form – ist. Kunst erschafft, behauptet, verteidigt und etabliert schlussendlich diese Form. Dies geht wiederum nicht ohne Konflikt, nicht ohne Missverständnis und nicht ohne Widerstand. Zweifel, Skepsis und Misstrauen der Kunst gegenüber sind Ausdruck von Verunsicherung und von Neutralisierung der Gesellschaft durch Journalismus, durch die Diktatur des Kommentars, der ‚Meinung’ oder der sogenannten ‚öffentlichen Meinung’. Kunst aber kann – ganz einfach weil sie Kunst ist – einen Dialog oder eine Konfrontation – von Eins zu Eins – provozieren. Kunst greift in die Gesellschaft ein, weil sie es schaffen kann – und schaffen muss – jeden Menschen zu implizieren. Kunst greift in die Gesellschaft ein weil sie – als Kunst – die Kraft und die Macht zur Veränderung hat – die Veränderung jedes Einzelnen.