Statement: Produktion = Ja! (2009)

Geschmack spielt in meiner Arbeit keine Rolle – Geschmack spielt in der Kunst überhaupt keine Rolle. Das ist spätestens seit Duchamp klar, er hat dies mit seiner phänomenalen Arbeit bewiesen, dank ihm ist der Geschmack endgültig aus der Kunst verbannt. Ein Werk wie „Etant donnés“ bleibt für immer jenseits von Geschmack. Duchamp hat der Geschmacksfrage in der Kunst – durch sein Werk – eine endgültige Antwort gegeben.

Die Frage des Geschmacks, des „guten“ oder „schlechten“ Geschmacks sind Feindschaftserklärungen an die Kunst. Wenn Geschmacksfragen aufkommen sind Kunstfeinde – oder Angsthasen – am Werk, bei Geschmacksfragen wird abgewägt – kein eigenes Urteil wird gewagt. Dem Geschmack geht es schlussendlich um Konsum. Darauf darf ein Künstler und auch ein Kunstliebhaber nicht ansprechbar sein.

Geschmack ist repressiv, er hat eine Funktion: die auszuschliessen und auszugrenzen. Es ist eine passive Funktion – sie will Bestehendes erhalten, Bewährtes bestätigen, sich absichern und sich festigen. Nie ist Geschmack etwas Neues, nie etwas Offensives und nie etwas Souveränes. Geschmack will das Gegenteil von dem was Kunst will: funktionieren und zeigen, dass man funktioniert. Kunst aber ist eine Setzung, eine Erfahrung, eine Behauptung, Kunst ist absolute Behauptung von Form und Kunst kann sein was nicht funktioniert. Kunst schafft ein Erlebnis, Kunst ist ein Wagnis, Kunst geht ein Risiko ein, Kunst wagt ein Statement, Kunst ist eine Erfindung, Kunst stellt eine Kreation in die Welt, Kunst macht etwas Neues, Kunst ist etwas Aktives. Für Kunst muss – als erster durch der Künstler – einen Preis bezahlt werden, Geschmack zu haben kostet niemanden etwas.

Wenn die Geschmacksfrage in der Kunst auftaucht, stellt sich nicht nur die Frage des aesthetischen Geschmacks es stellt sich auch die Frage des politischen Geschmacks. Uns so wie es die Falle der aesthetisch geschmackvollen Kunst gibt es die Falle der politisch geschmackvollen Kunst. Hier versuchen „Agenten des guten Geschmacks“ ihren Einflussbereich auf das Politische zu erweitern. Politisch geschmackvolle Kunst ist wirklich das Letzte, da darf niemand reinfallen. Wer Geschmack benützt um Kunst abzuwägen hat die unendliche Möglichkeit, die riesige Kraft der Kunst nicht begriffen – oder er ist zynisch und hat resigniert und wer in der Kunst Geschmack oder Geschmackfragen als Kriterium benutzt, ist neutralisiert und eingeschläfert, er bewegt nichts. Deshalb gilt: Geschmack = Nein!

Der Begriff ‚Geschmack’ ist wie der Begriff ‚Qualität’ ohne jede Dynamik. Es sind mutlose Begriffe Diese Begriffe wollen sanktionieren: Geschmack haben, Qualität besitzen. Es geht darum Grenzen zu ziehen, die des „guten Geschmacks“ und die der „guten Qualität“. Geschmack wie Qualität ist deklinierbar: schlechte Qualität, schlechter Geschmack und Geschmack wie Qualität wollen eines: Kontrolle. Kunst aber ist was jeder Kontrolle entgeht! Kontrolle ist unvereinbar mit Kunst. „Qualitätsanssprüche“ sind „Geschmacksfragen“ in der Kunst sinnlos, da Kunst immer über solche Begriffe hinausgeht. Geschmack in der Kunst macht keinen Sinn weil es in der Kunst um Liebe geht, um Leidenschaft, darum das Unmögliche zu wollen, darum Alles zu geben, um ein totale Engagement für etwas, um eine Entscheidung und um die Bereitschaft für diese Entscheidung alle Konsequenzen zu tragen. In der Kunst geht es nicht um persönliche Vorliebe oder eine persönliche Neigung, in der Kunst überhaupt geht es nie um etwas ‘persönliches’ – es geht um das Universelle. In der Mode, im Design in der Architektur mögen Fragen nach Qualität und Geschmack ihre Berechtigung haben – in der Kunst haben Sie sie nicht. Geschmack und Qualität mögen in Bereichen der Konsumabhängigkeit „funktionieren“. Die Kunst steht ausserhalb. Ich bin – wie jeder andere Mensch – mit Fragen nach Qualität und Geschmack in meinem Alltag konfrontiert (Wohnung, Kleider usw.) – ich weiss aber auch, dass diese Begriffe der „Qualität“ und des „Geschmacks“ keinen Einfluss auf meine Arbeit haben und haben können. Ich weiss auch, dass sich Geschmack und Qualität nur wenige leisten können. Geschmack und Qualität sind Kontra-Universelle Begriffe, ich aber bejahe Universalität.
Deshalb mein Statement: „Qualität = Nein! Energie = Ja!“. Ich weiss nicht was „Qualität“ hat in der Kunst, ich weiss nicht was „Geschmack“ besitzen soll in der Kunst – ich weiss aber, dass ich mit solchen Begriffen nicht weiterkomme und ich weiss: Geschmack haben heisst Ruhe haben wollen sein, Geschmack ist Stillstand, Geschmack ist abwarten und sich angleichen und Geschmack haben heisst vorallem: nichts produzieren!

Ich aber will arbeiten. Ich will nicht nur den Geschmack und Geschmacksfragen bekämpfen, ich will dem Geschmack etwas gegenüberstellen, etwas Positives entgegenzusetzen. Ich will einen positiven Gegenbegriffe bezeichnen und darauf insistieren. So wie ich den Begriff ‘Qualität’ den Begriff ‘Energie’ entgegenstelle will ich dem Begriff ‘Geschmack’ den Begriff ‘Produktion’ entgegenstellen!

Ja, ich will produzieren, ich will viel produzieren, schnell, gutes, schlechtes, rastlos und kopflos. Ich will mich nicht einschläfern lassen, ich will mich nicht neutralisieren lassen, ich will aktiv sein. Produktion = Ja!

Thomas Hirschhorn, Aubervilliers, Sommer 2009