“Höhere Gewalt” (2014) – [ger]
“Destruction is difficult; It is as difficult as creation.” Antonio Gramsci
Höhere Gewalt ist der Titel dieser Skulptur. Es ist eine neue Art von Skulptur. Diese neue Art von Skulptur hängt von der Decke, sie kommt von oben, sie fällt von oben. Die Skulptur folgt den Gesetzen der Schwerkraft. Während der Boden und die Glasfronten des Schinkel Pavillon unberührt bleiben, der Durchbruch ist hier nicht möglich, kommt die Decke als einziger Ort für Höhere Gewalt in Frage. Daher soll die Skulptur genau dort ihren Platz finden. Die Decke ist nicht nur der einzige Freiraum, sondern sie ist auch der Ort, an dem, wie der Titel indiziert, die Schwerkraft wirken kann – und dass mit der größten Evidenz. Schwerkraft lässt alles von Oben nach Unten fallen. Nur von Oben ist ein Durchbruch nach Unten möglich, dieser von Oben ausgeübten Gewalt kann sich Nichts erwehren: Höhere Gewalt (‘Force Majeure’) als ein Durchbruch. Der Durchbruch geschieht durch eine Gewalt von Oben, durch eine externe Kraft, eine unendliche Kraft, eine unermesslichen Kraft. Es könnte an einem Leck gelegen haben, einer Flut, einer Explosion, einem Materialfehler oder einer Unachtsamkeit, einem Unfall. Die Decke brach ein, fiel, und mit ihr Alles, was über meinem Kopf verborgen war: Das Nichtgezeigte, das versteckte Chaos – es offenbart sich, was ich nicht sehen konnte. Und plötzlich, wegen der Schwerkraft, ergießt sich Alles, verteilt sich Alles, liegt Alles offen und bildet neue Verbindungen, neue Zusammenhänge, neue Dynamiken. Die unsichtbaren Mechanismen werden enthüllt und deutlich sichtbar.
Es liegt an mir in diesem Chaos etwas sehen, aufmerksam zu sein und hell wach. Höhere Gewalt macht – dank den Gesetzen der Natur – das Unsichtbare Sichtbar. Es ist eine „kritische Skulptur“, ein “kritischer Korpus”.
Der Durchbruch, der von Oben kommt, kann nicht vermieden werden: er ist zwingend. Die Skulptur, dieser Durchbruch, dieser “kritische Korpus” fällt mir jeden Moment auf den Kopf und ich kann nicht weglaufen vor der neuen Logik, der unfehlbaren Logik. Die “Force Majeure” ist mitleidslos und zwingt mich zu hinschauen. Höhere Gewalt zwingt mich den Kopf zu heben, meine Augen weit zu öffnen und dem ins Auge blicken, was ich nicht sehen will. Das ist die Logik, die Form und die Mission dieser neuen Skulptur.
In Höhere Gewalt integriert, als Isoliermaterial, das in den Hohlraum in der Decke hineingestopft wurde und nun heraushängt, ist. Ich habe das Buch ausgesucht, weil Zettel’s Traum, von der Ideologie des Verbrauchertums Abstand nimmt, wie sie andere Bücher auszeichnet. Es gibt keinen Grund Zugeständnisse an mögliche Leser zu machen. Großartige Bücher liest man nicht, um sie zu verstehen. Es geht nie um Verständnis. Es geht darum, etwas zu erfahren. Die Bücher, die mich interessieren, sind Bücher, die ich nicht verstehe. Bücher, die mir zuviel abverlangen. Bücher, die mich zwingen mich mit dem Auseinanderzustezen, was ich nicht weiss.
Thomas Hirschhorn, 2014