Interview ‘Der Freitag’ mit Michael Angele (2020)

Ich habe Dich in unserer Serie „Visionäre der Zukunft“ vorgeschlagen. Nun weiß ich gar nicht so recht warum. Ich finde Dein Werk zwar super, aber wenn man an die Zukunft denkt, denkt man an Technologie, Roboter und solche Dinge. Dafür steht es nun nicht gerade. Bitte hilf mir und sag mir, warum Du doch der Richtige bist.

 ‘Der Richtige’ bin ich bestimmt nicht, und ich fürchte, ich kann Dir hier nicht helfen. Ich würde mich nie als ‘Visionär’ und auch nicht als ‘Visionär der Zukunft’ bezeichnen. Meine Obsession ist nicht die Zukunft, sondern das Jetzt und das Hier. Ich frage mich, wie kann ich eine Arbeit machen, heute, die a-historisch ist? Wie kann ich eine Arbeit machen, die sich nicht der Aktualität, den Tagesinformationen oder den Fakten beugt? Und wie kann ich eine Arbeit machen, die nicht selbst ein Kommentar ist? Ich will ein Künstler, Arbeiter, Soldat sein, jemand der Kunst als ein Werkzeug versteht. Ein Werkzeug, um mich mit der Realität – in der ich bin – auseinanderzusetzen, ein Werkzeug, um mich mit der Zeit – in der ich lebe – zu konfrontieren und ein Werkzeug, um die Welt – in der ich lebe – kennenzulernen.Mit dem Werkzeug ‘Kunst’ versuche ich, Form zu geben. Eine Form, die frei – mit dem mir ganz Eigenen – ist. 

Ich durfte in Biel auf der Walser Skulptur sprechen. Dazu gab es eine Art Handsheet von Dir, das auf mich zugleich sehr autoritär und antiautoritär zugleich wirkte. Der Künstler sagt mir: Sei frei! Wie bei Beuys oder Schlingensief. Geht es vielleicht nicht anders?

 Nein, es geht nicht anders, denn die Frage ist: “Warum ist Robert Walser so wichtig?” Es gibt ja immer wieder Leute, die sagen: ‘Die oder der ist wichtig!’. Das ist schon mal gut, es ist schon ein Engagement, aber ich will wissen warum? Was macht es aus, dass jemand wichtig ist? Was denkt jemand, die/der behauptet, dass es für sie/für ihn – zuerst – so wichtig ist? Und warum kann das wichtig für die Anderen sein?  Du hast ja auf diese Frage mit Deinem Vortrag “Robert Walser und Afrika” eine geistreiche, ironische und präzise Antwort gegeben. Ich erinnere mich gut. Ich habe – weil ich bei allen 86 Vorträgen dabei war – sehr viel über Robert Walser dazu gelernt und eben auch warum er so wichtig ist.

Deine Skulpturen sind vorwiegend aus Holz. Würdest Du sagen, dass du eine ökologische Kunst schaffst?

Ich arbeite – schon ganz von Anfang an – mit Materialien, die jederman kennt und benutzt, mit Holz, mit Karton, mit Aluminiumfolie, mit Papier, mit Plastik, mit Klebeband, mit Materialien die keinen Mehrwert haben, mit Materialien, die von der Strasse kommen oder aus der Küche. Es sind Materialien, die überall vorhanden sind, die greifbar und billig sind. Es sind universelle Materialien. Ich habe mich für diese Materialien entschieden, da sie niemanden durch ihre Materialität ausschliessen und weil sie niemanden einschüchtern. Mit diesen Materialien zu arbeiten heisst, eine Position zu beziehen und für mich heisst das ‘Politisch arbeiten’. Ich habe mich also aus politischen Gründen für diese Materialien entschieden und nicht aus ökologischen, deshalb muss ich, kann ich, will ich meinen Materialien auch treu bleiben. 

Auch das Gramsci-Monument in den Bronx war ein Pavillon aus Holz, erstellt auch mit den schwarzen Bewohnern von Ort. Musstest Du jetzt, in Zeiten von Black Life Matters, daran denken? Oder „funktionierst” Du so nicht?

Ich glaube an den Begriff der Gleichheit und ich denke, dass Kunst ein fantastisches, weil wirksames Werkzeug ist, dem Begriff Gleichheit eine Form zu geben und dass Kunst – weil es Kunst ist – sich allen Ungleicheiten widersetzt. Deshalb will und muss ich als Künstler den Begriff der Gleichheit – mit und trotz aller unserer Unterschiede – hochhalten, problematisieren und verteidigen. Ich will eine Arbeit machen, in der absolute Gleichheit das oberste Gebot ist die Kunst gibt mir ein Werkzeug dazu. Gleichheit ist für mich ein absoluter Anspruch, eine Herausforderung und eine Behauptung und es ist die Kunst, die es mir ermöglicht daran zu arbeiten und dafür zu kämpfen. Ich will mich dem Diktat des Kommentars von Alltagsfakten nicht beugen. Es geht darum, darauf zu setzen, dass nur Kunst – weil es Kunst ist – sich den Argumenten, den Meinungen, den Kommentaren zu allen Formen von Ungleichheit widersetzen kann. Wenn ich dieses grundsätzliche Postulat der Kunst aufgeben würde und mich selbst zum Beispiel als ‘Privilegierten’ bezeichnen würde, würde ich es gerade dadurch verraten. Der Ausganspunkt für das “Gramsci-Monument” war klar: Ich kann es nicht ohne Hilfe von Bewohnern machen. Diese Arbeit entstand 2013 nur dank der Hilfe von Bewohner/innen des NYCHA-Projects ‘Forest Houses’ in der South Bronx. Dabei war es eine genuine, wunderbare und bereichernde Erfahrung, dass es gerade die Bewohner von ‘Forest Houses’ waren – die etwa zu gleichen Anteilen aus Afro-Amerikanern und Latinos bestehen – die diese Arbeit überhaupt ermöglicht haben. Ich will hier daran erinnern, dass das “Gramsci Monument” dort war, weil Bewohner von ‘Forest Houses’, eigentlich ein Bewohner, nämlich Erik Farmer, der Präsident der Bewohnervereinigung, den ich auf einem von vielen Fieldworks in New York City kennengelernt habe – mir gesagt hat: Ich mache das “Gramsci Monument” mit dir, ich, wir helfen dir! Es war also nicht so, dass ich den Ort ausgesucht habe, sondern die Bewohner von ‘Forest Houses’ haben zu meinen Plan ‘Ja’ gesagt. Deshalb wurde das “Gramsci Monument” dort aufgebaut. Ich denke viel an diese – für mich wichtige – Arbeit und an die Bewohner von ‘Forest Houses’, nicht nur wegen ‘Black Lives Matter’ oder der ‘Corona Krise’ sondern, weil es eine schöne, positive und komplexe Erfahrung war. Ich habe weiter Kontakt mit einigen von ihnen – vor allem mit Erik Farmer, der mir so entscheidend mit dem “Gramsci Monument” geholfen hat. Ich weiss deshalb, wie solidarisch und tatkräftig sie in ‘Forest Houses’ versuchen, die ‘Covid-19’-Krise zu meistern, insbesondere mit Essenspaketen von ‘Chefs for America’, die an Betagte, Kinder und zur Risikogruppe gehörende Bewohner geliefert werden.

Zur Politik: „Swiss Swiss Demoracy” von 2014 setzt sich mit den Wirkung und den Ideen von Christoph Blocher auseinander. Dabei versammelte die Installation zahlreiche Zeitungsartikel über Blocher. Was kann die Kunst, was die Zeitung nicht kann?

Das “Gramsci Monument” ist – wie jede Kunst – Politik, wirkliche Politik, Politik mit einem grossen ‘P’! Nun, mit der Ausstellung “Swiss-Swiss-Democracy” sollte die Demokratie und ihre Formen, wie die direkte Demokratie – die ich als Schweizer gut kenne – kritisch befragt, beleuchtet und problematisiert werden. Der Ausgangspunkt und meine Kritik ist, dass man in der Demokratie mehr und mehr ein ‘demokratisiertes Subjekt’ wird, statt ein/e emanzipierte/r Demokrat/in zu sein. Diese Fragen, diese Problematik und diese Auseinandersetzung bildeten die Form von “Swiss Swiss-Democracy”. Mit dem ehemaligen rechtspopulistischen Bundesrat Christoph Blocher hatte diese Ausstellung nur ganz am Rande zu tun. Tatsächlich war diese ‘Präsenz und Produktion’-Ausstellung erfolgreich, weil sehr viele Besucher kamen, aber nicht etwa wegen dem von einer gewissen Schweizer Zeitung hysterisch produziertem Skandälchen, sondern weil wir jeden Tag vor Ort das System ‘Demokratie’ kritisch befragt und diskutiert haben. Es gab eine tägliche von mir vor Ort produzierte Zeitung, tägliche Vorträge von Marcus Steinweg und ein täglich gespieltes Theaterstück “Wilhelm Tell” inszeniert von Gwenael Morin.  Der ‘Blocher-Skandal’ und die Reaktionen einiger Schweizer Politiker waren paradoxerweise, ungeplant und ungewollt eine Illustration der Fragilität der Demokratie. Kunst ist widerständig, Kunstwidersteht kulturellen, ökonomischen, politischen, ästhetischen Gewohnheiten – weil sie Kunst ist. Die Kunst hat die Kraft Menschen direkt, von eins zu eins, zu implizieren.

Blocher wurde auch angepinkelt. Also Provokation. Gleichzeitig ist aber auch das Wesen der SVP Provokation. Müssen wir eine gute (künstlerische) von einer schlechten (rechtspopulistischen) Provokation unterscheiden?

Kein Mensch wurde angepisst – ich arbeite nicht mit Körperflüssigkeiten. Aber tatsächlich haben sich Schweizer Journalist/innen ungemein ob einer kleinen Szene im integrierten Theaterstück “Wilhem Tell” in dieser Arbeit aufgeregt (ein Schauspieler der einen Hund mimt, hebt kurz sein Bein gegen einen mit einer Photokopie von Christoph Blocher beklebten Karton) und einen Skandal daraus machen wollen. Das ist ihnen auch – auf die Schweiz begrenzt – gelungen, aber nur um es hier fest zu halten: Es war kein Kunstskandal, es war ein hysterisches, selbstproduziertes Medien- und Politiker-Skandal, für mich eher ein ‘Skandälchen’, der nichts mit der wirklichen Arbeit vor Ort zu tun hatte. Ich weiss, dass, bei jeder nüchterner Betrachtung es lächerlich ist, sich von so einer Szene provoziert zu fühlen. Aber es brauchte für eine gewisse, revanchefreudige Presse einen Skandal, da ich zur gleichen Zeit – ganz alleine – einen Boykott der Schweiz als Ausstellungsort ‘unter’ diesem rechts-populistischen Bundesrat ausgesprochen habe und ihn auch erfolgreich durchgezogen habe. Ich habe viel über eine gewisse Form von Journalismus, über gewisse Tageszeitungen und ihre Verbindungen mit der Tagespolitik gelernt und natürlich wurde das Ganze eine schamvolle Illustration dessen, wieweit rechtspopulistische Strömungen in der Schweiz unterschwellig Einfluss haben. Wenn Kunst das – ungewollt, glaub mir, ungeplant, unvorhergesehen – aufdecken kann, dann weil Kunst widerständig ist, denn ich konnte nicht im Traum daran denken, dass jemand so einfältig wäre, das “selbst-neutralisierende” der Demokratie mit diesem Skandal darzustellen.

Wie der jüngst verstorben Christo auch, bringst Du den öffentlichen Raum in Schwingung, um das mal so zu sagen. Du gibst Orten eine andere Bedeutung, lässt sie zu Orten der Begegnung werden (Walser Skultpur). Kannst Du mit dem Christo-Bezug etwas anfangen?

Mich hat als Studierender in der Kunstgewerbeschule Zürich die Arbeit von Christo und Jeanne Claude “Running Fence” von 1976 begeistert.  Die Poesie, die Behauptung, die Schönheit, die zeitliche Begrenzung dieser Arbeit hat mir vorgegeben, was Kunst bewirken kann, was Kunst verändern kann und wie Kunst Dimensionen sprengen kann.

Auffallend oft sind es aber gar nicht Künstler, sondern Schriftsteller, die Dich inspirieren. Schrift spielt  immer eine große Rolle in Deinem Werk. Ist es darum eine Art “Gesamtkunstwerk”?

Den Begriff ‘Gesamtkunstserk’ benutze ich nicht in meiner Arbeit. Aber es ist wahr, Bücher sind für mich wichtig, Bücher können wichtig sein, jedes Buch kann wichtig sein. Deshalb arbeite ich oft mit Texten und habe sie in meine Arbeit integriert. Auch verlangsamen Texte die Wahrnehmung, was ich versucht habe in meiner Arbeit zu benutzen. Ich bin kein grosser Leser aber es hat mich immer interessiert wie Poet/innen, Schriftsteller/innen und Philosoph/innen ihre Position klären, welche Form sie ihrem Denken geben. Als Künstler kann ich davon lernen und auch teilen. So habe ich Arbeiten zu Ingeborg Bachmann, Meret Oppenheim – die wunderbare Gedichte geschrieben hat, Emmanuel Bove, Robert Walser und Raymond Carver gemacht. Es sind Hommagen aber auch Behauptungen. Ich denke, dass nur Kunst, Philosophie und Poesie wirklich widerständig sind. Auch sehe ich in der Posie eine grosse politische Sprengkraft, hier ist Robert Walser ein Beispiel, das zeitlos ist und bleibt. Ich selbst – und das könnte ich jedem jungen/er Künstler/in raten – habe immer schon, von Anfang an, selbst über meine Arbeit geschrieben.

Hast Du ein neues Projekt?

Ich arbeite zur Zeit – nebst anderen Ausstellungen – an einer grösseren “Präsenz und Produktion”-Arbeit für die Ruhr-Triennale 2022 in Duisburg.

Wann braucht es Deine Kunst in Zukunft nicht mehr?

Es geht nicht darum ob es meine Kunst braucht sondern darum, ob ich Kunst brauche. Die Antwort ist eindeutig: Ja. Das Schöne dabei ist, es war immer so. Nicht die Kunst hat gesagt: es braucht mich, es waren Menschen, die gesagt haben, wir brauchen Kunst. Ich denke an die prähistorischen Höhlenmalereien, deren Brauchbarkeit von uns noch heute diskutiert wird, die aber in in ihrer – für uns heute unbrauchbarer – Form wundervoll existieren. Diese Kunst gibt es, weil zu ihrer Entstehungszeit – vor mehr als 30 000 Jahren – Menschen entschieden haben, dass sie gebraucht wird.