“Concept-Car” (2007)
Ich habe es wieder einmal nicht verstanden – oder noch schlimmer – falsch verstanden. “Politics of Belonging” ist der Titel der Ausstellung, und vor meinen Augen sah ich Menschen, die im Flugzeug Koffer, Säcke, Taschen, Kleidungsstücke in den Abblageflächen über ihren Sitzen verstauen oder herausholen. Das sah ich als ich belonging las. Belonging habe ich übersetzt mit Habseligkeit. Mir gefällt das Wort Habseligkeit, wegen seiner Ärmlichkeit, weil eine Habseligkeit das letzte ist was ich habe aber auch das Wichtigste. Die Habseligkeit trage ich mit mir herum, ich trage sie an mir und in mir. So sehe ich ‘Belonging’, obwohl ich nun lernte, ‘Belonging’ heisst Zugehörigkeit, und ich weiss jetzt auch, dass mit “Politics of Belonging” die “Politik der Zugehörigkeit” gemeint ist.
Was soll ich – der Künstler – nun mit diesem Missverständnis machen? Es korrigieren? Mich an den dummen Satz “The right to be wrong” halten? Oder so tun als hätte ich es richtig verstanden? Habe ich das Wort falsch verstanden, weil mein Englisch begrenzt ist? Weil ich einfach wirklich zu wenig verstehe?
Die Antwort ist für mich eindeutig, denn ich habe es falsch verstanden, weil für mich das Wort ‘Belonging’ ein Bild ist. ‘Belonging’ ist eine Form. Es ist die Form der Sachen, die man scheinbar unverzichtbar mit sich herumschleppt, im Flugzeug, in der Eisenbahn, im Fahrzeug, als Fussgänger. Es ist das Bild der Dinge, die ich in Griffnähe habe und es ist die Form dessen, was man sogar im Notfall – bei notgelandeten Flugzeug – trotz der scharfen gegenteiligen Anweisungen des Bordpersonals mitzuretten versucht. So wichtig sind uns die Habseligkeiten. Ich sehe diese Form überall, es ist eine geladene, dichte Form.
Ich will und muss – als Künstler – an dieser Form, diesem Bild arbeiten, denn Kunst machen heisst : Form geben. Kunst machen heisst diese Form behaupten, diese Form verteidigen und absolut zu ihr halten. Deshalb muss ich mit dem ‘es falsch verstehen’ leben und ich muss – wenn es mir ernst ist – mit dem ‘es falsch verstehen’ arbeiten. Ich muss tun was nur ich sehe, ich muss tun was nur ich so sehe, ich muss tun was nur ich weiss und ich muss geben was nur ich geben kann. Deshalb muss ich meinem ‘es falsch verstehen’ treu bleiben. Ich muss da insistieren, ich muss dranbleiben. Ich darf jetzt nicht einlenken und es ‘richtig sehen’. Ich darf nicht leugnen es ‘falsch’ gesehen zu haben. Und ich muss aushalten, dass ich dabei dumm aussehen kann. Ich muss diesen Mut aufbringen nicht der “wissendere”, der “gescheitere” zu sein.
Ich will eine Arbeit machen, die über das Missverständnis, über Fehler und über Mängel hinausgeht. Ich will eine Arbeit machen, wo ‘es falsch verstanden zu haben’ nicht wichtig ist. Das ist mein Problem als Künstler, darum geht es mir: Meine Sicht, Meine Form, Meine Arbeit, Meine Position. Nicht als ein egomanisches, narzisstisches Abenteuer, sondern als die Behauptung, dass gerade das die Konditionen schaffen kann um einen direkten Dialog durch die Arbeit zu ermöglichen. Gerade das absolute von mir ausgehen, richtet sich doch an den Anderen. Nur so nehme ich den Anderen und meine Mission – für ein nicht exklusives Publikum arbeiten zu wollen – doch wirklich ernst.
Als Künstler habe ich das Werkzeug – und es ist ungeheur wichtig es (zuerst) selbst zu verstehen – um meine Mission zu erfüllen: Mein Werkzeug ist mein Form- und mein Kraftfeld. Es ist meine künstlerische Logik und es ist mein Vertrauen, mein Urvertrauen in die Grazie beim Kunstmachen. Denn nie, habe ich – als Künstler – gewonnen, aber auch nie, nie habe ich als Künstler verloren, wenn ich nur wirklich von dem mir Eigenen aus arbeite. Wenn ich aber von dem ‘mir Eigenen’ ausgehe, nähere ich mich der Grazie. Die Bestimmung des ‘mir Eigenen’ und das absolute Vertrauen darin, ermöglicht es der Grazie meine Arbeit zu berühren, die Grazie ist es, die erreicht – trotz Missverständnis und Fehler – Öffnungen in meine Arbeit zu schneiden. Vielleicht sind es diese Öffnungen in der Arbeit die es erlauben, dass die Begriffe ‘Habseligkeit’ und ‘Zugehörigkeit’ einen neuen Sinn ergeben. Und es sind diese Öffnungen, die es dann dem Betrachter ermöglichen, sich durch die Arbeit und mit der Arbeit zu implizieren. Implikation durch Grazie ! Wobei mit Implikation klar ist: es geht um das gedankliche Eingeschlossensein. Das Gehirn zu aktivieren ist Aktivität, das ist die Arbeit – da steckt das Problem für mich als Künstler, ‘Interaktivität’ ist zu billig.
Der “Concept-Car” will dem Form geben. Er ist meine Vergangenheit und meine Zukunft zugleich. Ähnlich wie bei anderen meiner Arbeiten (“Altar”, “Monument”, “Kiosk”) gehe ich von etwas Bestehendem aus. Es gibt ‘Concept-Cars’ – ich aber will meinen “Concept-Car” machen! Der “Concept-Car” ist eine Form für das Mitgetragene, das Auf-mir-getragene und das In-mir-getragene. Es gibt keine Hierarchie zwischen wichtigem und unwichtigen, denn alles ist ‘Habseligkeit’. Der “Concept-Car” ist die Form aus der ich schöpfe einerseits und andererseits der Träger dieser Form, er ist Träger meines Kraft- und Formfeldes. Mein Kraft- und Formfeld ist zwischen Liebe, Politik, Philosophie und Aesthetik. Der “Concept-Car” gibt all dem was wirklich zählt für mich und was wirklich wichtig ist für mich eine Form. Denn ich denke, alles kann wichtig sein, nichts ist unwichtig. Niemandem kann vorgeschrieben werden, was wichtig für ihn ist. Mit der neuen Arbeit “Concept-Car” für “Politics of Belonging” will ich dieser Behauptung Form geben. Der “Concept-Car” ist meine ganze Habseligkeit.
Thomas Hirschhorn, Aubervilliers, Juli 2007