“Nachwirkung” (2015) – [ger]
“Nachwirkung” ist der Titel meiner neuen Arbeit für die Kunsthalle Bremen. “Nachwirkung” soll in den drei Sälen der ‘Grossen Galerie’ einen Raum schaffen, der eine gewisse Sinnlosigkeit aufzeigt. In dieser Arbeit und mit dieser Arbeit soll jede Gewissheit verschwinden. Das heisst nicht, dass es keinen Sinn gäbe oder dass ich mit Unsinn operieren würde, es bedeutet vielmehr, dass es zuviel Sinn gibt, zuviel unendlichen Sinn und zuviel Sinnvolles. Jeder will – heute – etwas ‘Sinnvolles’ tun! “Nachwirkung” soll kein billiges Sinnversprechen sein. Es soll eine Arbeit entstehen die am Abgrund der Sinnlosigkeit steht. Ich will eine Arbeit machen, die an den Grenzen des Sinnmachenden steht und die angesichts dieser Abgründigkeit und angesichts dieser Instabilität eine einfache und leichte Form hat, deshalb das Motiv der Ruine.
Ich arbeite seit einiger Zeit mit dem Motiv der Ruine und der Ästethik der Destruktion. Was mich interessiert ist, dass jede Ruine – von der Ruine des antiken Tempels über die Ruine des bankrott gegangenen Industriekonzerns zur Kriegsruine – uns etwas sagt, uns etwas anderes sagen will und kann. Am Motiv ‘Ruine’ und an der Ästhetik der Destruktion interessiert mich ebenso, dass der Zustand des ’Verlassenen’, des ‘Zerstörten’, des ‘Unbenutzbaren’, des ‘nicht mehr Gebrauchtwerden’ oder auch des’ nie Fertiggestellten’ universel und zeitlos wirkt (die Ruine des antiken griechischen Theater in Taormina in Sizilien, die Ruine des von Salvador Allende projektierten, nie fertiggestellten Krankenhaus in Santiago, die Fabrikruine in Detroit, die Ruinen der von der israelischen Luftwaffe zerbombten Häuser im Gazastreifen). Deshalb will ich mit “Nachwirkung” – mittels des Motiv der Ruine – eine Form schaffen für eine faktenlose, gesichtslose Wahrheit – jenseits der Aktualität. “Nachwirkung” ausgebreitet in der ‘Grossen Galerie’ soll ein Gebäude oder eine Landschaft sein, die eine Erfahrung des Prekären und der Löcherigkeit darstellt .
Originalwerke aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen (ich habe soweit 5 ausgesucht) sind in der Ruinenlandschaft integriert. Diese integrierten Werke sind Formbehauptung, sie stehen für die eigentlichen Zeit und sie stehen für das eigentlichen Ort der Arbeit “Nachwirkung”. Das ist die ‘Wahrheit’ dieser Arbeit, sie wird ebenfalls – behauptet und verstärkt durch die Graffiti an verschiedenen Orten im Ruinengebäude. Die Graffiti zeugen von der Präsenz von Elementen und Energien die nichts mit der ehemaligen Verwendung der Räume – die spekulativ bleiben soll – zu tun haben.
Ich verstehe die Form von “Nachwirkung” als eine abstrakte Form – trotz ihrer Dekorationsästhetik. “Nachwirkung” hat eine Form – die über das was wir allgemein ‘Realität’ oder ‘Wirklichkeit’ nennen – hinausgeht. Zu abstrahieren heisst, vom Konkreten auszugehen – hier von den Ruinen, von den Werken aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen und von den Graffiti. Die Idee ist, vom Konkreten auszugehen um damit das Abstrakte sichtbar zu machen, deshalb teilt sich “Nachwirkung” nicht unmittelbar mit.
(Der Begriff “Nachwirkung” steht auch für ‘Folgen’, ‘Konsequenz’, ‘Ergebnis’, ‘Auswirkung’, ‘Bedeutung’. Es gibt ‘Nachwirkung’ auch im rechtlichen Bereich – demnach ist ‘Nachwirkung’ eine Regelung, die auch nach Ablauf oder nach Kündigung eines Vertrages gilt. Medikamente können eine ‘Nachwirkung’ haben. Auf Englisch würde ich für “Nachwirkung” den Begriff ‘Aftermath’ und auf Französisch den Begriff ‘Repercussion’ benutzen – der Titel der Arbeit ist aber, auf Deutsch: “Nachwirkung”.)
Thomas Hirschhorn, Januar 2015