Stand-alone” (2007) – [ger]
“Stand-alone” ist eine dreidimensionale Umsetzung meines Plans “Wo stehe ich ? Was will ich ?”. Der Plan ist Ausgangspunkt und Dynamik für die Arbeit “Stand-alone”. In der Galerie liegt er – als integrierte Drucksache – zum Mitnehmen auf. “Stand-alone” ist eine Collage, es ist eine Collage im Raum. Es ist eine Skulptur ohne Volumen – mit allen Bestandteilen einer Collage. Die Mission einer Collage ist – aus Elementen der bestehenden Welt – eine neue Welt zu schaffen, das will auch ich, wenn ich eine Collage mache.
Was für mich zählt ist, eine Form zu geben, was zählt ist, dass ich die Form behaupte und dass ich diese Form verteidige. Um Form zu geben brauche ich eine Logik, ich muss eine Logik entwickeln und auf ihr zu bestehen. Ich muss meine eigene künstlerische Logik haben.
Im Plan “Wo stehe ich ? was will ich ?” frage ich mich : “Wie kann ich eine Position beziehen ? Wie kann ich dieser Position eine Form geben ? Und wie kann ich durch diese Form – über politische, ästhetische und kuturelle Gewohnheiten hinaus – eine Wahrheit schaffen ?”. Dieser Frage will ich keine theoretische Antwort geben sondern eine Form geben. Diese Form wird meine Arbeit “Stand-alone” sein. Ich werde versuche im Kraftfeld und im Formfeld von Liebe, Politik, Ästhetik und Philosophie zu arbeiten. Diese vier Kraft- und Formfelder werde ich – wie immer – verteidigen – so auch in “Stand-alone”.
In jedem der vier Galerienräume steht ein leicht vergrössertes Kamin, (gefertigt mit aus Plastik beklebtem Karton) also insgesamt vier Kamine. Die Kamine stehen für das ‘ewige Feuer’ von Liebe, Politik, Ästhetik und Philosophie. Zu den vier Kraftfeldern hat es Bücher, diese Bücher sollen über das jeweilige Feld hinweg zeigen. Die Bücher sind Material und Form, es sind befreundete Formen und es ist alliertes Material. Zum Anfeuern und zum Unterhalt des Feuers dienen verschiedene Holzformen und Holzarten.
“Stand-alone” heisst Stand-alone, das ist Selbst-aufrichtung und Selbst-erlaubnis. “Stand-alone” ist aber auch eine Wirtschaftsstrategie. “Stand-alone” kann man nicht alleine, “Stand-alone” geht nicht ohne Hilfe – deshalb gibt es vergrösserte “YOU”-Medikamente (gefertigt aus mit Plastik beklebtem Karton). Auch ein Plazebo-Medikament ist ein Medikament.
Ich will – wie immer – eine Arbeit machen, die die Bedingungen für einen direkten Dialog oder Konfrontation schafft, eine Arbeit die implizieren will und ch will niemanden einschüchtern, so auch nicht mit “Stand-alone”. Ich will eine dichte Arbeit in aller Dringlichkeit machen und ich will daran denken, dass Kunst ein Werkzeug ist für mich. Kunst ist in Werkzeug um mich mit der Zeit in der ich lebe auseinanderzusetzen, Kunst ist ein Werkzeug um die Welt kennenzulernen und Kunst ist ein Werkzeug um mich mit der Realität zu konfrontieren. “Stand-alone” ist eine Arbeit im Chaos – denn ich will im Chaos der Welt arbeiten – ich will keine Arbeit gegen das Chaos machen. Ich will in der Unverständlichkeit und Unklarheit der Welt arbeiten, mittendrin. Und ich will inmitten dessen – was wirklich in unserer Welt zu sehen ist – arbeiten.
Quer in jedem der vier Räume steht eine Mega-Form (ein grosser Baumstamm aus bemaltem Karton), in ihm sind Bilder von zerstörten, verletzten, getöteten Menschen ‘eingekerbt’. Die Mega-Formen sollen den Massstab brechen und sie sollen einen veränderten Blickwinckel herbeiführen. Ich will eine frontale Arbeit machen, eine Arbeit die nicht ausweicht. “Stand-alone” ist für ein Nicht-exlusives Publikum gemacht. “Stand-alone” will einschliessen ohne zu neutralisieren, mit dieser Arbeit will ich niemanden ausschliessen und “Stand-alone” soll eine Arbeit sein die nicht nur eingeweihtes, vor-informiertes Publikum ansprichen will.
In den vier Räumen, die durch eingeschlagene Türen voneinander getrennt sind, stehen mehrere Kleiderschränke und Büchergestelle die mehr oder weniger zerlegt sind. Diese Kästen und Schränke sind Träger von ‘Halb- oder Teil-Informationen’ – das sind ‘ausgeschlachtete’ und photokopierte Presseartikel. Diese Presseartikel sind zum Teil auf die ganzen Kästen, zum Teil auf die einzeln herumstehenden Kastenelemente geklebt und zum Teil sind sie als Photokopien auf dem Boden verstreut. An die Wände der Ausstellungsräume sind elektronische Geräte wie Fernseher, Telefon, Computer usw. mit Adhesifband geklebt, diese so befestigten Geräte sind Formen von Resistenz. Die Wände sind beschriftet und besprayt mit ‘News-Poesie’, diese Beschriftung hat die Form von Protest. ‘News-Poesie’ sind aus Newsmagazinen ausgeschnittene Satzteile, ohne örtliche-, namentliche- oder aktualitäts-Inhalte. Die angeklebten Geräte und die Schrift an der Wand sind ‘Zeichen an der Wand’ – alle sehen sie – aber es geht darum sie wirklich wahrzunehmen – sie für Wahrhaftig zu halten.
Mit der Arbeit “Stand-alone” will ich mich – als Künstler – mit dem Problem auseinandersetzen : “Wie kann ich eine Arbeit machen die sich in keinem Fall den historischen Tatsachen beugt ? Und wie kann ich eine Arbeit machen die das Jenseits der Geschichte – in der ich lebe – berührt ? Wie kann ich im heutigen – meinem historischen Feld – eine Überhistorische Arbeit machen ?”.
“Stand-alone” soll Universell und Ehrgeizig sein, diese Arbeit kommt ohne Massstab, ohne Analyse und ohne Hierarchie aus. “Stand-alone” ist eine neue Arbeit die den gesamten Galerieraum benötigt.
Thomas Hirschhorn, Aubervilliers, April, 2007